Zum Tode unseres Vaters MR Dr. med. Joseph Müller

Von seiner Tochter Dr. med. Maria Nötzel und seinem Sohn Georg Müller

Dr. Joseph Müller 2005Unser Vater, Dr. med. Joseph Müller, ist am 4.3.2013 im 96igsten Lebensjahr an den Folgen eines schweren Sturzes verstorben. Seine 6 Kinder, 23 Enkel, 33 Urenkel und alle Angehörigen trauern um ihn.

Geboren am 28.8.1917 in Lawau, in der damaligen Provinz Posen, als jüngster Sohn eines Lehrers und Organisten, mußte seine Familie als Folge des 1. Weltkrieges 1919 nach Oels in Schlesien umsiedeln. Nach der Schulzeit bestand er dort 1937 sein Abitur und wurde kurz danach zum Militärdienst eingezogen. Gleichzeitig nahm er sein Medizinstudium in Breslau auf. Hier lernte unser Vater seine spätere Frau, Dr. Maria Antonie Müller, kennen, 1944 heirateten die Eltern mitten in den Wirren des vorletzten Kriegsjahres.

Kriegs bedingt erfolgte die Beendigung seines Studiums an der Humboldt-Universität Berlin. Während des Bombenhagels auf Berlin durch die Alliierten beendete er dort seine Promotion "Harnsäure - und Mikroindikangehalt in der Leber" mit "magna cum laude".

Die letzten Kriegstage erlebte unser Vater als Unterarzt in einem Lazarett Milowitz bei Prag.

Es war nach 1945 eine schwere Zeit für ihn und seine kleine, inzwischen aus Schlesien geflohene, Familie. In Naumburg/Saale arbeitete unser Vater anfangs unbezahlt als Volontär in der Gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses, 1946 fand er im Krankenhaus Zeitz in der Inneren Abteilung eine erste Festanstellung. Eine Tüte mit der Aufschrift "Josephs erstes Gehalt: 40 Mark" ist noch vorhanden.

Als Folge seiner Tätigkeit in Zeitz erkrankte unser Vater an einer schweren Lungentuberkulose, deren langwierige Behandlung in einer Heilstätte in Schielo/Harz von 1949-1950 erfolgte. Noch während seiner Rehabilitation nahm er Kontakt mit der sich unweit von Schielo befindenden Tuberkulose-Heilstätte in Harzgerode auf und erhielt dort eine Anstellung als Stationsarzt. So zog die Familie 1950 nach Harzgerode in eines der Ärztehäuser der vom Architekten Schwedthelm in den 1930iger Jahren in reinem Bauhausstil konzipierten Klinik. 1953 erfolgte die Anerkennung als Facharzt für Lungenkrankheiten und Tuberkulose.

Dr. Joseph Müller 2010Als Folge seiner Spezialisierung war unser Vater häufig als Gutachter bei der damals so häufigen Knochentuberkulose gefragt. Reisen in entsprechende Einrichtungen in Sachsen-Anhalt und Brandenburg wurden in der Familie schlicht "Knochentouren" genannt.

Mit der erfolgreichen Zurückdrängung der Tuberkulose in der damaligen DDR rückte die Behandlung der sog. unspezifischen Lungenerkrankungen in der Heilstätte Harzgerode in den Vordergrund. Während wir Kinder aus gebührender Entfernung noch junge Patienten mit Wirbeltuberkulose in ihren Ganzkörpergipsschalen auf den Lichtterassen der Heilstätte liegen sahen, zogen nun Patienten mit Asthma bronchiale, chronischer Bronchitis und auch Mukoviszidose in die im Verlauf zur Lungenfachklinik avancierte Einrichtung ein. Die Diagnostik und Therapie dieser Erkrankungen erfolgte hier in enger Abstimmung mit dem inzwischen installierten Arbeitskreis für Bronchopulmologie der Gesellschaft für Pädiatrie der DDR um Prof. Weingärtner und Prof. Dietzsch, in dem Vater aktiv wirksam war. Hervorzuheben ist hier sicher die Etablierung der bronchiologischen Diagnostik mittels Bronchoskopie und -graphie, die Vater wohl mehrere tausend Male durchführte und auch statistisch auswerten ließ und bei der wohl auch so mancher endobronchiale Fremdkörper ans Tageslicht befördert wurde. Trotz fachlicher und menschlicher Kompetenzen hatten es die Eltern - unsere Mutter arbeitete ebenfalls in der Klinik als Lungenfachärztin - nicht leicht, sich gegen allerlei Widerstand im kommunistischen Regime zu behaupten, was auch an der christlichen Einstellung unserer Familie lag. Dennoch konnten sie von sich überzeugen: unser Vater wurde 1959 Oberarzt, und nur ein Jahr später Chefarzt der damaligen Heilstätte Harzgerode.

Dr. Joseph Müller 1995 Goldenes DoktorjubiläumDass die Belegschaft hinter ihm stand, zeigte sich zu jedem Weihnachtsfest: Er bestritt die Weihnachtsfeiern mit dem von ihm einstudierten Angestelltenchor mit christlichen Advents- und Weihnachtsliedern. Sozialistische Festreden verabscheute er indes und ließ sich dazu durch Mitglieder der Verwaltung oder Gewerkschaft vertreten, denn er verstehe das "Partei-Chinesisch" einfach nicht. In diesem Zusammenhang konnte Vater nicht verwinden, dass das Robert-Koch-Gemälde in seinem Chefarztzimmer abgehängt werden musste und der Staatsratsvorsitzende dessen Stelle einnahm.

Ende der 1950iger Jahre stimmten viele Menschen in der DDR mit den Füßen ab und flüchteten in den westlichen Teil Deutschlands. Dies betraf auch leitende Angestellte der Heilstätte Harzgerode. Plötzlich und über Nacht waren ihre Häuser leer. Die Eltern überlegten damals, ebenso zu verfahren, aber sie blieben. Ihre christliche Einstellung hielt sie bei ihren Patienten. Nach 1960 hielt unser Vater lange Zeit nur mit Unterstützung seiner Frau die ärztliche Versorgung von damals regelmäßig über 100 stationären Patienten aufrecht.

Dem Amt des ärztlichen Direktors der Lungenklinik für Kinder und Jugendliche Harzgerode, wie Vaters Position zuletzt beschrieben wurde, blieb er bis zum Eintritt in den Ruhestand 1982 treu. Bis zuletzt hat es ihn tief geschmerzt, dass sein Lebenswerk, die pädiatrische Bronchopulmologie in Harzgerode, nach der Wende nicht dauerhaft fortgeführt werden konnte, und auch das historisch so wertvolle Drs. Antonie und Joseph Müller 1985Gebäudeensemble dem Verfall preisgegeben wurde.

Als Menschen kann man unseren Vater als fleißig, sehr gewissenhaft, ordnungsliebend, bescheiden und immer strebsam bis in seine letzten Tage beschreiben. Mit 75 Jahren stellte er seine Erfahrungen nochmals zur Verfügung: Monatelang betreute er die Lungenklinik Albrechtshaus, danach die Diabetesklinik in Schielo als kommissarischer Chefarzt. Neben seinem Beruf und später auch im Rentenalter nahm er Klavier- und Orgelunterricht, spielte Violine, Flöte und Gitarre. Er brachte seine Fähigkeiten bei Hausmusiken und im öffentlichen Leben ein. 60 Jahre lang hatte er das Amt des Organisten der Katholischen Gemeinde in Harzgerode inne.

Bis fast zuletzt turnte unser Vater begeistert in seiner Sportgruppe, die er in den 1970iger Jahren ursprünglich für die Angestellten der Klinik gegründet hatte, und deren weitaus ältestes Mitglied er inzwischen war.

Im Jahr 2004 starb seine Frau, woraufhin er seinen Haushalt weitgehend allein führen mußte. Zuletzt hatte er zunehmend den Wunsch, ihr zu folgen. In seiner letzten Lebenswoche zeigte er auf ihr Bild und meinte: "Dort will ich hin!" Dass er gut oben ankomme, das gebe Gott!